Überreichung der Friedenstaube an Margot Käßmann
Nürnberg, 18. September 2015
Redetext von Peter Schönlein
Der massenhafte Ansturm von Flüchtlingen aus Kriegs- und Krisengebieten nach Europa ist verständlicher Weise das beherrschende Thema dieser Tage. Das uns bewegende Schicksal all der Menschen, denen Krieg und militärische Gewalt ihre Existenzgrundlage entzogen haben und die bei uns vor allem eines suchen: in Frieden leben zu können, muss auch für uns Veranlassung sein, über unsere Verantwortung in der Welt nachzudenken.
Ja, wir in Mitteleuropa haben allen Grund zur Dankbarkeit für eine nun schon 70 Jahre währende Friedenszeit nach zwei verheerenden Kriegen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts – Kriege, die in bis dahin unvorstellbarem Ausmaß Tod und Zerstörung, Not und Elend über die Menschen gebracht haben. Niemals mehr, so schworen sich die Menschen damals unter dem unmittelbaren Eindruck des Erlebten, sollte von deutschem Boden wieder Krieg ausgehen, niemals mehr Wahn und Verblendung Deutschland in einen Krieg führen.
Was ist aus diesen Schwüren geworden? Welche Wirkungsmacht hat die Erinnerung an all die Gräuel und Schrecken dieser Jahre noch? Weiß man heute noch zu schätzen, wie kostbar und köstlich Frieden ist?
Die Sorge wächst, dass immer mehr Menschen in unserem Lande vom Frieden gesättigt sich wieder mehr militärischer Gewalt eröffnen. Solche Tendenzen sind in Teilen unserer Gesellschaft und vor allem in der Politik unübersehbar. Das ist keine Einbildung, sondern durch Fakten eindeutig belegbar. Nur einige wenige Belege seien genannt.
Überreichen einer Friedenstaube des Künstlers Wilhelm Uhlig durch Dr. Peter Schönlein. Rechts Willi Stöhr, Direktor der Evangelischen Stadtakademie Nürnberg.
Ausgerechnet der Bundespräsident hat sich berufen gefühlt, auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Bundesbürger zu mehr Aufgeschlossenheit gegenüber Militäreinsätzen im Ausland aufzurufen. Das ist in der Bundespolitik offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen. Schon sind auf Betreiben der NATO – wie Sie wissen – Bestrebungen im Gange, den für schnelle Militäreinsätze lästigen Parlamentsvorbehalt wenn nicht abzuschaffen so doch auszuhöhlen und einzuschränken. Hehre und bisher stets gültige Grundsätze, keine deutschen
Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete zu liefern, wurden vor einem Jahr mit einer Geschwindigkeit und Selbstverständlichkeit über Bord geworfen, die schockierend sind. Auf dem letzten NATO-Gipfel wurde eine drastische Erhöhung der Rüstungsetats beschlossen, die für die Bundesrepublik eine Erhöhung um sage und schreibe 50% in wenigen Jahren bedeutet. Die Erneuerung des Waffenarsenals der Bundeswehr wird immer entschiedener auf Auslandseinsätze ausgerichtet, die Anschaffung bewaffneter Drohnen soll die Kriegseinsätze effizienter und weniger verlustreich für die eigenen Truppen machen, so dass sie auch – so hofft man – der deutschen Bevölkerung leichter vermittelbar werden.
Konsequenterweise soll deshalb auch ein neues Weißbuch erarbeitet werden, damit der Umbau der Bundeswehr von einer Landesverteidigungs- in eine Interventionsarmee die entsprechende Rechtsgrundlage erhält. Dass aber unser Grundgesetz in Geist und Buchstaben den deutschen Streitkräften ausschließlich die Aufgabe der Landesverteidigung zuschreibt, spielt bestürzender Weise eine immer geringere Rolle.
Dies ist übrigens eine beunruhigende Parallele zu den aktuellen Vorgängen in Japan. Dort hat man mit einer auf Pazifismus ausgelegten Verfassung Jahrzehnte lang gut gelebt, ist Japan zu neuer Blüte und zu Wohlstand gelangt. Das ist der jetzigen japanischen Regierung unter Premierminister Abe nicht mehr genug. Japanische Soldaten sollen wieder draußen in der Welt an der Seite von Verbündeten zum Ruhme Japans erfolgreich in Kriege eingreifen und die Zeit militärischer Abstinenz hinter sich lassen. Kommt hier die negative Kehrseite des dem Menschen innewohnenden Geltungsbedürfnisses zum Vorschein, sind es die von Steven Pinker in seinem Standartwerk zum Phänomen der Gewalt in der Menschheitsgeschichte genannten „inneren Dämonen“, die vom Menschen Besitz ergreifen?
Spielt sich etwas Ähnliches auch bei uns ab? Jedenfalls sind in der öffentlichen Diskussion zunehmend auch andere, aggressivere Töne zu vernehmen. In manchen Medien geht der Trend unverkennbar dahin, verstärkt alte Feindbilder wieder zu beleben und neue Feindbilder aufzubauen. Zugleich werden manche nicht müde, bei entsprechender Gelegenheit die Kriegsmüdigkeit des Westens zu beklagen.
Überreichen einer Friedenstaube des Künstlers Wilhelm Uhlig durch Dr. Peter Schönlein und Maximilian Bär.
Angesichts dieser Entwicklung ist dringlich zu wünschen, dass sich in der Zivilgesellschaft diejenigen Kräfte formieren und sich Gehör verschaffen, die mit guten, aus Erfahrung und Verantwortung gespeisten Argumenten und gestützt auf eine – jedenfalls bisher – noch immer breite Zustimmung in der deutschen Gesellschaft sich dem Trend zu mehr militärischem Lösungen entgegenstellen.
Eine der herausragenden Stützen eines dem Frieden verpflichteten Standpunkts ist heute in Nürnberg zu Gast. Sie, verehrte Frau Käßmann, gelten zu Recht als eine Lichtgestalt der Friedensbewegten und deshalb freuen wir uns sehr, Sie heute mit einer symbolischen Gabe bedenken zu können. Diese Gabe besteht aus einer von Prof. Wilhelm Uhlig geschaffenen Friedenstaube, deren erstes Exemplar vor wenigen Monaten unserem Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier übergeben wurde – als Dank und Mahnung zugleich.
Das zweite Exemplar nun geht an eine Persönlichkeit, deren gesamte Biographie von der Sehnsucht nach Frieden und dem Engagement für Frieden durchdrungen ist. In Wort und Schrift haben Sie – gerade auch in jüngerer Zeit – das ganze Gewicht Ihrer Überzeugung immer für den Frieden in die Waagschale geworfen und sich niemals gescheut, Anstoß zu erregen, wenn es darum ging, dem Frieden eine Gasse zu bahnen. „Ich lasse mich gern als naive Weltverbesserin belächeln. Das ist besser, als zu den ständigen Weltverschlechterern zu gehören“, haben Sie in einem Ihrer Bücher selbstbewusst und trotzig geschrieben. Dabei mussten Sie, gerade im innerkirchlichen Dialog, eigentlich nur auf das Evangelium verweisen, dessen gute Botschaft nicht die Kriegfertigen, sondern die Friedfertigen preist und zum Vorbild erhebt. Manche empfinden diese Botschaft leider als eine Provokation. Und als eine Provokation empfinden es auch manche, dass Sie vor klaren und unzweideutigen Worten nicht zurückschrecken, wenn Sie zu Krieg und Frieden Stellung beziehen: „Ich finde Krieg schlicht und ergreifend grauenvoll und alle Rechtfertigungsversuche für kriegerisches Handeln haben für mich einen schalen Beigeschmack. Rüstungsausgaben, Waffenexporte, sie sind für mich schlicht ein Zeichen von Versagen. Da gibt es nicht genug Fantasie für den Frieden und ein viel zu großes Ignorieren des Leids, das Krieg und Gewalt immer im Gepäck führen.“
Mir scheint, dass die Überreichung einer Friedenstaube an Sie, verehrte Frau Käßmann, einen tieferen Sinn ergibt. Denn Sie sehen die Friedenstaube und die Taube, die für Gottes Geist steht, in einem unauflöslichen Kontext: „Sie gehören zusammen“, dies war immer Ihre Überzeugung. „Wer die Sehnsucht nach Frieden kennt, wird auf die Taube vertrauen“, haben Sie gesagt und hinzugefügt: „Die Friedenstaube ist kein Symbol der Schwäche, sondern der Stärke. Sie ermutigt zum Widerstand gegen die vermeintliche Logik von Waffen, Waffenhandel, Krieg und militärischer Intervention. Sie ermutigt zu Fantasie für den Frieden.“
In diesem Sinne ist es mir eine besondere Freude und Ehre, Ihnen diese Nürnberger Friedenstaube überreichen zu dürfen. Sie möge Sie hilfreich begleiten, Sie ermutigen, Ihnen Kraft verleihen und zum Segen werden für Sie und Ihr Wirken und für den Frieden in unserem Lande und darüber hinaus.